OHNE TITEL (SZ AUGUST 2007 BIS APRIL 2008)

Inge Krause, Hamburg
09.05.2008 - 18.07.2008

In ihrer ersten Einzelausstellung in der artfinder Galerie 2005 zeigte die Hamburger Künstlerin Inge Krause eine Reihe von Bergbildern, die einen touristischen Blick thematisieren. Nach fotografischen Vorlagen aus einschlägigen Katalogen schuf sie eindringliche Bildwelten, die aufgrund eines speziellen zeichnerisch-malerischen Verfahrens einerseits die Berggipfel zum Greifen nah und doch im selben Augenblick weit entrückt erscheinen lassen: Sehnsuchtsort und Fernweh – der Benjaminsche Aura-Begriff zieht sich hier durch die abstrakten, als durchsichtige Schleier aufgetragenen Acrylfarbräume, die sich über die zugrunde liegenden Kreidezeichnungen legen. Die von Benjamin postulierte „einmalige Erscheinung einer Ferne, so nah sie auch sein mag” wird hier spürbar; der Kulturkritiker beschreibt die Empfindung des Betrachters einer Bergkette an einem Sommertag als ein nicht zu reproduzierbares Ereignis. In den vertrauten und doch versperrten Bergwelten lässt Krause etwas aufscheinen von der Sehnsucht nach einem Erleben, das nicht erlebt werden kann.

Für ihr neues Projekt „ohne Titel (SZ August 2007 bis April 2008)“ zeichnete Inge Krause neun Monate lang täglich das Titelfoto der Süddeutschen Zeitung, jeweils am Tag ihres Erscheinens. Auf diese Weise sind vom 1. August 2007 bis zum 30. April 2008 210 Zeichnungen entstanden, die in ihrer einheitlichen Umsetzung auf DIN A4-Papier unterschiedlichste Bildwelten vereinen. Die partielle Unschärfe und der verwischte Eindruck jedes einzelnen Blattes wird durch die transparenten Folien hervorgerufen, mit denen die Zeichnungen überklebt wurden. Als Monatsblock bzw. Kalendarium gehängt, ergibt sich ein Storyboard des Weltgeschehens der letzten 9 Monate. Darstellungsform und Ereignischarakter jedes einzelnen Blattes stehen gleichwertig nebeneinander, als formal wie inhaltliche Leerstellen erweisen sich dabei die im Block auftauchenden weißen Blätter, stellvertretend für die Tage, an denen die Künstlerin nicht an dem Projekt gearbeitet hat. Der Authentizitätsanspruch jedes einzelnen Titelfotos der SZ wird in den Zeichnungen gebrochen. Die aufgeklebten Folien verstärken dabei nicht allein den Eindruck der Unschärfe, sondern überführen die Zeichnung zugleich in etwas bewegt Filmisches und erinnern an das Display eines Monitors – das Medium, über das wir heutzutage wesentliche Ausschnitte der Wirklichkeit erfahren.